Ich bin Julie und ich habe einen Kinderwunsch. Und nicht nur das, ich bin sogar gerade dabei ihn umzusetzen. Vielleicht könnte ich auch schreiben „Wir sind gerade dabei“ – denn ich bin seit drei Jahren in einer Beziehung. In die ICH den Kinderwunsch gebracht habe. Meine Freundin will kein Kind. Sie macht mit, denn eine Alternative gibt es für mich nicht. Wie egoistisch ist das denn bitte?
Vielleicht ist das auch der Grund, dass ich beginne zu schreiben. Über die letzten sechs Jahre, in denen in mir der Wunsch sitzt: Ich möchte Mutter werden. Über die Wege, die ich und auch wir schon gegangen sind. Über die Ängste, die Träume, die Verletzungen, die geschmiedeten und verworfenen Pläne. Und über die Hoffnung.
Aktuell sitzen meine Liebste und ich seit 10 Tagen gemeinsam in Quarantäne. Den Mietvertrag für unsere Wohnung haben wir sechs Wochen vor Corona unterschrieben. Dachmaisonette – die einzige schließbare Türe ist die zum Bad. Passt schon, dachten wir damals, (mittel)jung und verliebt – schließlich sind wir viel unterwegs, den ganzen Tag mit unseren Jobs außer Haus und brauchen beide nicht so viel Ruhe. Vor allem nicht voreinander.
Und jetzt stell dir hier noch ein Kind vor
Zwei Jahre später mit so einigen Lockdowns, vielen vielen Videokonferenzen und einer Quarantäne sind wir beide genervt. „Und jetzt stell dir hier noch ein Kind vor“, kommt es angestrengt vom Sofa.
Ja – jetzt stell dir hier noch ein Kind vor. Die rationale Antwort liegt auf der Hand: Nein. Meine Frau will ja auch gar nicht. Und doch ist da dieser Wunsch.
Ich arbeite gerne. Ich habe berufliche Pläne. Ein Pferd. Kreative Projekte. Eine tolle Partnerin an meiner Seite. Und doch kann ich es mir nicht vorstellen, jetzt einfach noch 30 bis 40 Jahre so weiterzuleben. Wir sind schon in der Umsetzung – drei Versuche liegen hinter mir. Hoffentlich bald wieder einer vor mir – den aktuellen hat die Quarantäne gecrasht. Jetzt warte ich auf meine Mens. Ich bin überfällig – immer wieder hört man dass Corona den Zyklus verschiebt. Na toll.
In den Nachrichten kommen täglich neue Informationen aus der Ukraine, aus Russland. „Scholz meldet sich zu bedrohlicher Lage“ lese ich. Auf Twitter trendet #Weltkrieg. In diese Welt noch Kinder setzen? Wie egoistisch ist das denn bitte?
Der Klimawandel ist längst mehr als eine Bedrohung. Das Ahrthal, Rheinbach und Erftstadt überschwemmt, nur einen Ort weiter starben Menschen auf unserer Landstraße. Freund*innen haben viel, haben alles verloren. Momentan stürmt es fast täglich. Regen und Hagel prasseln aufs Dach, während ich diese Zeilen schreibe.
Als ich die Suchwörter „Klima“ und „Kind“ in meine Suchmaschine eingebe, stoße ich bei ecowoman.de auf den Vergleich, dass der Verzicht auf ein Kind 117,7 Tonnen CO2 im Jahr einsparen würde. Der auf ein Auto 5,3 Tonnen. Das mach ich wohl auch mit Gemüsekiste und Fahrrad nicht wett.
Ich habe Angst. Und je mehr ich über all das Schlimme in der Welt nachdenke, desto größer wird sie. Corona und andere Pandemien, Klimawandel und Kriege sind reale Szenarien. Was ist, wenn ich so egoistisch bin und meinen Wunsch umsetze? In welcher Welt wird mein Kind leben?
Mein Wunsch ist egoistisch. So wie jeder Wunsch.
Mein Kind kann nicht selbst entscheiden, ob es geboren wird. Ich konnte das auch nicht. Was sich aber in mir festsetzt, ist die Erkenntnis, dass ich trotz allem gerade hier sein will. Auf dieser Welt. Weil es auch, immer noch und vielleicht gerade deshalb das Gute gibt. Das mag jetzt kitschig klingen. Aber ja – ich bin verliebt. Immer noch. Ich habe einen Menschen an meiner Seite, der mit mir auch durch die schlimmen Zeiten geht. Ich habe Freund*innen. Eine Arbeit, bei der ich Kinder und Jugendliche auf ihrem Weg begleiten darf. In der ich Gutes tun kann.
Und es gibt sie. Immer noch und immer wieder – diese Momente von Verbindung. Von Miteinander. Von Glück. Von Durchatmen und Weitermachen können. Von Liebe und von Hoffnung.
Also ja. Mein Wunsch ist egoistisch. So wie jeder Wunsch. Was draus wird und wie es wird weiß ich nicht. So ist das wohl immer im Leben.
Ich hoffe, es wird gut.
geschrieben von Julie, am 21.2.2022
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Nina (Dienstag, 01 März 2022 18:32)
@Julie - Sehr schön und bewegend geschrieben. Wir drücken die Daumen für diesen Wunsch, den wir gut kennen und der heute genau zwei Monate alt geworden ist. Also Hoffnung!
Kirsten (Mittwoch, 02 März 2022 02:29)
Ich kann deinen Wunsch sehr gut verstehen, da ich in einer ähnlichen Situation war. Meine Partnerin , mit der ich damals schon fünf Jahre zusammen war und noch immer bin, wollte auch kein Kind. Wir wohnen wohl nicht zusammen, das ist der große Unterschied. Sie hat mich aber in meinen Wunsch unterstützt.
Heute ist mein Wunschkind schon 14 Jahre alt und die beste Entscheidung ever.
Ich drücke dir die Daumen dass es klappt. Liebe Grüße.
Frankie (Mittwoch, 02 März 2022 12:32)
Danke für diesen Text! Du sprichst mir aus dem Herzen!