Junge oder Mädchen? Das scheint noch immer die alles entscheidende Frage zu sein. Eigentlich erstaunlich in Zeiten des anwachsenden Genderbewusstseins.
Bei Facebook kann man sich inzwischen bei der Frage nach dem Geschlecht für über 60 Möglichkeiten entscheiden. Das mag manch einem übertrieben vorkommen. Was darin zum Ausdruck kommt, ist ein wachsendes Verständnis darüber, dass es eben nicht nur zwei Geschlechter gibt und, dass diese davon bestimmt werden, was zwischen den Beinen eines Menschen wächst. Trans*, Inter* und Queer rücken mehr und mehr in die Mitte der Gesellschaft. Werden Mainstream. Und das ist gut so.
Nur, wenn es um Kinder geht, scheint dieser Blickwechsel noch nicht stattgefunden zu haben. Im Gegenteil. Bei Eltern und der gesamten Industrie, die Dinge an Eltern und Kinder verkaufen will, erlebe ich seit Jahren einen Backlash ohne Gleichen.
Zum Beispiel beim Kleiderkauf: Heutige Geschäfte sind in zwei Welten eingeteilt, in Kaufhäusern gerne auch auf zwei verschiedenen Etagen angesiedelt: hier die Jungenwelt, dort die Mädchenwelt. Eine Schnittmenge gibt es nicht. Kein Unisex weit und breit. Auf der einen Seite gibt es viele süße Tieraufdrucke, Rüschen und Glitzer in Rosa, Pink und Pastell. Und es gibt wilde Comicfiguren, die kämpfen und sehr aktiv sind, Autos und gefährliche Tieraufdrucke auf vorzugsweise blauen, grauen oder braunen T-Shirts und Sweater.
Ich habe inzwischen aufgeben, mich mit Verkäuferinnen anzulegen, die auf mich zugeschossen kommen und als aller erstes nicht nach der Größe fragen oder danach, ob ich auf der Suche bin nach einer Jacke oder Hose. Die einzig entscheidende Frage ist die nach dem Geschlecht des Kindes. Meine Kindheit in den 70er erscheint mir rückblickend wie ein Gender-Paradies. Wenn ich mir meine alten Klassenfotos anschaue (Einschulung 1974) sehe ich eine bunte Kinderschar, Mädchen mit langem und mit kurzem Haar, alle Kinder ins Jeans, kein Rosa weit und breit.
Zum Beispiel beim Spielzeugkauf: Auch hier wieder zwei Welten, ohne Verbindung, ohne Gemeinsamkeiten. Auf der einen Seite viel Rosa (SEHR viel Rosa!), Puppen und das dazu gehörige Equipment (natürlich auch in Rosa oder wahlweise in Lila). Auf der anderen Seite Waffen, Bälle und Fahrzeuge. Spielzeug, was in meiner Kindheit geschlechtsneutral war, lebt heutzutage anscheinend sehr gut von der Zweiteilung der Spielzeugwelt. Playmobil und Lego sind hierfür beste Beispiele.
Legosteine waren in meiner Kindheit einfach nur rot, weiß, grau oder blau. Mit diesen Steinen konnte man das bauen, was einem die eigene Fantasie erfinden ließ. Heutzutage werden alle paar Monate neue LEGO-Welten auf den Markt geschmissen. In diesen Galaxien können die Jungs sich messen und bekämpfen, mit rasanten Fahrzeugen und wilden Geschöpfen. In der anderen LEGO-Welt wird gebadet und gekocht, verkauft oder Tiere oder Menschen gesund gepflegt. Die Legosteine in dieser Welt sind, Überraschung!, sehr gerne Rosa!
Welche Art von Erwachsenen sollen die Kinder später einmal werden, für die dieses Spielzeug auf den Markt gebracht wird? Definitiv keine Menschen, bei denen es zunächst um ihre Interessen und ihre Stärken geht, vollkommen unabhängig von ihrem Geschlecht.
Der Hang, Menschen in zwei Sorten zu unterteilen und diese mit festgelegten Eigenschaften und Gegenständen auszustatten, scheint sehr tief zu sitzen. Auch bei uns Regenbogenfamilien. Das stimmt
mich nachdenklich. Denn wo, wenn nicht in unseren Familien, könnten und sollten Kinder frei und unabhängig von gesellschaftlichen Geschlechtsrollenzuschreibungen groß werden? Manche versuchen
das. Andere, zumindest ist das meine Beobachtung und Erfahrung, haben die gesellschaftlichen Mädchen-Jungen-Schubladen verinnerlicht, auch wenn sie diese für sich selbst und in ihrem
Erwachsenenleben in Frage gestellt haben oder - als lesbische oder schwule Eltern - zumindest anders leben. Schade eigentlich. Vielleicht wird von manchen Regenbogenfamilien-Eltern auch versucht
über "jungenhafte Jungen" und "mädchenhafte Mädchen" der Umwelt zu zeigen: "Schaut her, wir sind nicht gefährlich, wir sind wie ihr! Die traditionellen Geschlechterrollen werden durch uns nicht
in Frage gestellt!" Das nur mal so als theoretische Frage, die mir ab und an durch den Kopf geistert.
Vielleicht ist es von Regenbogenfamilien, die eh schon an ein paar mehr Fronten zu kämpfen haben als andere Familien, aber auch zuviel erwartet auch noch ihre Kinder entgegen der Geschlechternorm
zu erziehen - oder dies zumindest zu versuchen?
geschrieben von Familie Regenbogenbunt
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Kai (Mittwoch, 11 November 2015 17:27)
Genau diese Erfahrung machen wir auch. Unseren Sohn würden wir gerne genderneutral kleiden, aber rosa Rüschen stehen ihm nicht :-P
So suchen wir nach neutraler Bekleidung. Und er erfreut sich an Buggys und dem Schieben!
Sabine (Donnerstag, 12 November 2015 10:11)
Unsere Tochter trägt einfach sehr gerne Kleider. Das finden wir auch nicht schlimm. Anstregend ist aber, dass aus dem Kindergarten und aus dem Fernsehen Bilder und Visionen von Rosa-tüll-Prinzessinnen-Kleider kommen. und unsere Tochter also "normale" Röcke und Kleider, aus Jeans oder in neutralen Farben, total doof findet. Sie will Prinzessin sein! Wir halten das und erfüllen ihr diesen Wunsch soweit es geht, weil wir denken, dass ist eine Phase. Das geht vorbei und dann komemn auch wieder anderen Zeiten. Hoffentlich;-)
Das Wichtigste ist, immer wieder Alternativen aufzuzeigen! Und die Kinder dabei so sein zu lassen, wie sie gerade sein wollen!