Es gibt ein paar wiederkehrende Fragen, die uns als lesbische Eltern gestellt werden. Frage 1: „Wie habt ihr das gemacht?“ Damit ist nicht etwa gemeint: "Wie habt ihr so wundervolle Kinder in die Welt setzen können?" Dahinter verbirgt sich die Neugier nach dem Wie des Zeugungsaktes. Mal wird das ganz direkt gefragt, mal mehr durch die Hintertür. Abhängig von der Situation, in der sie gestellt wird, und je nach Art des Kontaktes, in dem ich zu der fragenden Person stehe, finde ich diese Frage berechtigt und beantworte sie, mal detaillierter, mal abstrakter.
Frage 2: „Wie nennen eure Kinder euch?“ Auch das finde ich eine berechtigte Frage, die ich gerne beantworte.
Frage 3: "Wer von euch beiden ist die „echte“, die „richtige“ Mutter?" Soll heißen: Wer ist die leibliche Mutter. Oder auch die Variante: "Und welches ist jetzt DEIN Kind?" Diese Frage meint: Wer von euch hat welches Kind geboren? Das sind die Art von Fragen, die mich in Rage bringen. Solche Fragen habe ich nicht nur auf Familienfeiern von einer Tante oder einer entfernten Bekannten meiner Eltern schon gehört, nein auch von lesbischen Bekannten sind mir diese Art von Fragen schon zu Ohren gekommen.
Abgesehen davon, dass Kinder meiner Auffassung nach niemandem „gehören“, spricht aus diesen Fragen ein biologistisches Denken. Dahinter steht die Ansicht, in welchem Bauch ein Kind gewachsen und aus welchem Schoß ein Kind gekommen ist, hätte eine fundamentale und entscheidende Auswirkung auf die Mutter-Kind-Beziehung. Dass die leibliche Mutterschaft eine tiefgehende Zugehörigkeit zwischen Mutter und Kind entstehen lässt, will und kann ich nicht leugnen. Das passiert tatsächlich. Aber eben nicht nur bei der leiblichen Mutter, sondern ebenso bei der sozialen Mutter, die bei der Umsetzung des gemeinsam Kinderwunsches, in der Schwangerschaft, bei der Geburt und in den Wochen, Monaten und Jahren danach genauso wie die biologische Mutter mit fühlt, mit fiebert, mit wacht, mit sorgt.
Damit will ich die intensive Zeit der Schwangerschaft, die neun Monate, die ein Kind im Bauch der biologischen Mutter verbracht hat und die Geburt eines Kindes keineswegs für Null und nichtig erklären. Auch die Macht und Auswirkungen familiärer Ähnlichkeiten sind Faktoren, die immer mal wieder aufploppen und zum Thema werden können - bei uns lesbischen Eltern genauso wie in unserem sozialen Umfeld.
Jedoch: Soziale Elternschaft wird in unserer Gesellschaft bisher zu selten gewürdigt und als gleichberechtigte Elternschaft anerkannt. Schnell wird eine Wertigkeit hergestellt und in dieser wird der leiblichen Mutter eine stärkere oder zumindest eine speziellere Bindung an das Kind zugesprochen als der sozialen Mutter. Ich bin beides: leibliche Mutter und soziale Mutter und vielleicht habe ich deshalb eine besondere Sensibilität für die Untertöne und Schwingungen, die ich bei manchen meiner Mitmenschen bei dem Thema wahrnehme.
Die Bezeichnung „Co-Mutter“ war noch vor ein paar Jahre verbreitet und wurde gerne gebraucht, um die nicht leibliche Mutter zu bezeichnen. Inzwischen kenne ich kaum eine soziale Mutter, die sich selbst so bezeichnet. Denn das „Co“ enthält genau die Wertigkeit, die der sozialen Elternschaft häufig angehaftet wird. Co-Abhängig, Co-Pilot, sind Begriffe, die keine guten Assoziationen freisetzen.
Das Thema leibliche und soziale Elternschaft wird bei uns Regenbogenfamilien zum Teil auch tabuisiert. Wie fühle ich mich in meiner Rolle als soziale beziehungsweise leibliche Mutter? Welche Auswirkungen hat dies auf unsere Paarbeziehung, auf die jeweilige Beziehung zu unserem Kind/unseren Kindern? Wie wirkt sich soziale und biologische Elternschaft aus in und nach einer Trennung? Wie wichtig ist die rechtliche Gleichstellung beider Eltern durch die Stiefkindadoption? Welche Auswirkungen hat es, wenn die rechtliche Gleichstellung aller beteiligten Eltern nicht gegeben ist, beispielsweise in Familien, in denen mehr als zwei Menschen eine aktive Elternschaft leben? All das sind wichtige Fragen, die im Leben von Regenbogenfamilien in der einen oder anderen Form eine Rolle spielen.
Für mich hat das Thema leibliche und soziale Elternschaft damit zwei Seiten: Zum Einen finde ich es wichtig nach Außen deutlich zu machen, dass es um eine GEMEINSAME Elternschaft geht. Dass also die Frage: „Wer von euch hat das Kind geboren?“von geringerer Bedeutung ist als die meisten Fragenden annehmen. Im Auftreten nach Außen, vor allem im heterosexuellen Umfeld, gehört eine Aufwertung sozialer Elternschaft für mich zum „Alltagsgeschäft einer Regenbogenfamilie“.
Andererseits müssen meiner Meinung die Auswirkungen sozialer und leiblicher Elternschaft auf die Paarbeziehung, auf das Selbstbild als Eltern und auf die Beziehung zum Kind/zu den Kindern mehr zum Thema gemacht werden als dies bisher der Fall ist. Die Auswirkungen sozialer und biologischer Elternschaft sind komplex. Sie werden in ihrer Vielschichtigkeit von uns Regenbogenfamilien noch zu wenig thematisiert.
geschrieben von Familie Regenbogenbunt
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Jane (Donnerstag, 14 Juli 2016 12:51)
Danke für diesen Artikel! Ich kann sehr vielem davon zustimmen. Habe ich selbst auch so erlebt. Und es stimmt, es wird tabuisiert und sollte mehr zum Thema gemacht werden.
Tarzan (Samstag, 10 September 2016 22:32)
Ich finde es auch gut, soziale Elternschaft aufzuwerten. Aber macht es jetzt einen Unterschied, wer das Kind geboren hat, oder es macht es keinen? ("die leibliche Mutterschaft [lässt] eine tiefgehende Zugehörigkeit zwischen Mutter und Kind entstehen... Aber eben nicht nur bei der leiblichen Mutter, sondern ebenso bei der sozialen Mutter...") Heißt das: ja, es gibt ihn, aber er wird überschätzt?
Familie Regenbogenbunt (Montag, 12 September 2016 16:34)
Hallo Tarzan,
du fragst, ob es einen Unterschied macht, wer das Kind geboren hat oder, ob es keinen macht. Das ist - meiner Meinung nach - nicht pauschal zu beantworten. Wie die Elternschaft empfunden wird, von der sozialen und von der leiblichen Mutter (und von den Kindern), wird von Familie zu Familie individuell unterschiedlich erlebt und gelebt. In diesem Blog-Beitrag äußere ich meine subjektive Meinung dazu und diese lautet: Einen Unterschied komplett zu leugnen wäre falsch. Ich denke schon, dass es von Bedeutung ist, wer das Kind geboren hat. Die Frage ist aber: Womit wird diese Bedeutung gefüllt und welchen Wert messe ich ihr zu. Und hier findet meiner Meinung nach häufig eine Überschätzung oder eine falsch verstandene biologistische Auslegung statt.
Nicky Strippe (Mittwoch, 25 April 2018 13:27)
vielen Dank für deine Einschätzung der sozialen Elternschaft. Ich bin genau deiner Meingung was die Bindung des Kindes zur leiblichen und sozialen Mutter angeht. Bei uns ist es so, dass meine Frau unsere Tochter zur Welt gebracht hat und nun auch in Elternzeit erst Mal zu Hause ist und die meiste Zeit mit unserer Tochter verbringt. Dann hat sie auch noch das Glück sie stillen zu können, was auch noch Mal besondere Nähe aufbaut. Mein Part ist, wenn ich zu Hause, meine Zeit mit meiner Tochter /Familie zu verbringen um ihr jetzt schon zu vermitteln, ich bin auch für dich, ich liebe dich und auf mich kannst du dich verlassen. Noch hat meine Frau einige Bonuspunkte ;-) aber ich hole auf ;-))) Ich denke, dass unser Kind später keinen Unterschied machen wird, aus welchem Schoß sie kam!
Ich wünsche allen Familien und solche die es werden wollen, eine wunderbare Zeit <3
Familie Regenbogenbunt (Mittwoch, 25 April 2018)
@NickyStrippe: danke für deinen Einblick in euer Familienleben! Ich wünsch euch Dreien weiterhin alles Gute für eure regenbogenbunte Familienzeit!