Regenbogenfamilien gibt es nicht erst seit heute oder gestern. Inzwischen haben wir eine über mehrere Jahrzehnte zurückreichende Geschichte in Deutschland. In diesem Beitrag werfen wir einen Blick auf die gesellschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen und die typischen Merkmale von Regenbogenfamilien in den zurückliegenden dreißig Jahren.
Regenbogenfamilie 1990*
Die Regenbogenfamilie 1990 nannte sich nicht Regenbogenfamilie. Diesen Begriff gab es damals noch nicht. Die Kinder stammten in der Regel aus einer vorhergehenden heterosexuellen Beziehung, die Mutter trennte sich vom Kindsvater, hatte ihr Coming out und lebte zunächst alleinerziehend, später mit Partnerin mit ihrem Kind/ihren Kindern. Sie erlebte Diskriminierungserfahrungen von zwei Seiten: Für ihr heteronormatives Umfeld war sie eine "schlechte" Mutter, die ihren Kindern das Aufwachsen in einer Hetero-Beziehung verwehrte. Auch in der Lesbenszene traf sie auf Vorbehalte und wurde misstrauisch beäugt: War sie wirklich lesbisch? Sie hatte wenig Verbündete, sie stand allein da mit ihrem Mutter-Sein inmitten einer sehr kinderfernen Lesben-Community.
Regenbogenfamilie 2000
Die Regenbogenfamilie 2000 war die erste Generation, die sich bewusst für die Umsetzung ihres Kinderwunsches entschied. Sie waren in der Regel Zwei-Mütterfamilien, die sich über eine Samenbank in Holland auf den Weg des Schwangerwerdens begaben. Sie waren gut vernetzt in der Community, in der Lesbenszene. Sie bewiesen einen langen Atem auf dem Weg bei der Informationsbeschaffung, ohne Internet, ohne Infrastruktur. Alles lief auf einem informellen Weg der Selbstorganisation und Selbstinformation. Durch ihre gute Vernetzung und Eingebundenheit in die lesbische Community entstanden erste Stammtische zum Erfahrungs- und Informationsaustausch.
Sie legten den Grundstein für eine Infrastruktur auf die spätere Generationen von RGBF aufbauen konnten. Erste Info-Broschüren entstanden, vor allem in Großstädten wie Köln, Berlin, München und Hamburg. Die Mütter waren in der Regel 35 plus. Es gab wenig rechtliche Sicherheiten. Viele der biologischen Mütter galten (zunächst) offiziell als alleinerziehend, während die soziale Mutter keine Rechte hatte. Das 2001 eingeführte Lebenspartnerschaftsgesetz eröffnete für viele dieser Familien die rechtlichen Unsicherheiten zu verringern, in dem die soziale Mütter den mühsamen und oft herabwürdigenden Weg der Stiefkindadoption beschritt. Die eingetragene Lebenspartnerschaft war jedoch im Vergleich zur Zivil-Ehe mit den gleichen Pflichten, aber weniger Rechten ausgestattet.
Regenbogenfamilie 2010
Die Vielfalt an Familienmodellen wurde bunter. Auch mehr und mehr schwule Männer entschieden sich, Teil einer Regenbogenfamilie zu werden. Gemeinsame Familiengründungen von Lesben- und Schwulenpaaren ließen vielfältige Formen der Mehrelternschaft entstehen. Vereinzelte schwule Männer entschieden sich dafür, ihren Kinderwunsch mithilfe von Leihmutterschaft im Ausland umzusetzen. Lesben fanden Samenspender oder aktive soziale Väter über ihren Freundes,- Bekannten- oder Familienkreis, übers Internet, über Samenbanken in Holland, Dänemark oder Belgien.
Die Regenbogenfamilie 2010 war die erste Generation von Regenbogenfamilien, die sich aktiv eine Infrastruktur selbst schuf. Sie vernetzten sich in Krabbel- und Spielgruppen, sie zeigten Sichtbarkeit auf CSDs und auf Regenbogenfamilien-Wochenenden. Sie trafen sich beim Regenbogenfamilien-Picknick und beim Elternstammtisch. Sie engagierten sich politisch und ließen ihre Forderungen nach gleichen Rechten für alle Eltern/alle Familien laut und lauter werden.
Regenbogenfamilie 2020
Die Öffnung der Ehe für schwule und lesbische Paare im Jahr 2017 sorgte für eine breite gesellschaftliche Debatte und in Folge für mehr Akzeptanz und Sichtbarkeit von Lesben, Schwulen und Trans* mit Kindern. Jedoch hat der Gesetzgeber bei der "Ehe für alle" die notwendigen Anpassungen im Abstammungsrecht nicht vorgenommen. Das bedeutet, ein in eine gleichgeschlechtliche Ehe hinein geborenes Kind ist noch immer nicht automatisch das Kind beider Mütter/Eltern. Die nicht biologische Mutter muss noch immer durch das mühsame Prozedere der Stiefkindadoption ihr Kind "adoptieren". Auch Mehrelternschaft, also die gleichberechtigte Fürsorge für ein Kind durch mehrere Erwachsenen, ist in Deutschland nach wie vor nicht gesetzlich vorgesehen und geregelt.
Sich den Kinderwunsch zu erfüllen, ist leichter geworden. Es gibt Beratungsangebote, es gibt Vorbilder und es gibt eine gesellschaftliche und individuelle Selbstverständlichkeit, in der Familienplanung und Homosexualität sich nicht mehr ausschließen. Die Vielfalt der Regenbogenfamilien ist noch bunter geworden. Trans*Menschen, Mehr-Elternfamilien, Ein-Elternfamilien und Queer-Familys sind ein größer werdender und sichtbarer Teil der LSBTQ*-Community.
Die Vielfalt an sozialen Hintergründen hat sich ausdifferenziert. Auch Menschen, die finanziell nicht so sicher aufgestellt und bildungsferner sozialisiert sind, trauen sich ihren Kinderwunsch umzusetzen. Die Mütter und Väter sind einerseits jünger geworden, sie realisieren die Familiengründung zum Teil schon in ihren 20er-Jahren. Andererseits sind es auch ältere Lesben (40 plus), die sich ihren Kinderwunsch spät und mithilfe der Reproduktionsmedizin bis hin zu Eizellenspende im Ausland erfüllen. Zunehmend mehr Trans*Personen erfüllen sich ihren Kinderwunsch.
Auch wenn sie keine Anbindung an die LSBTQ*-Community haben, nehmen Lesben, Schwule und Trans* bestehende Zugänge zu Infrastrukturen, wie digitale Informationsangebote und Samenbanken im In- und Ausland selbstverständlich wahr. Schulungen von Mitarbeiter*innen in Jugendämtern und Familienberatungsstellen haben - zumindest in manchen Orten und Städten - für eine größere Sensibilität und mehr Wissen über Regenbogenfamilien gesorgt.
Regenbogenfamilie 2030
Wie könnte die "typische" Regenbogenfamilie im Jahr 2030 aussehen? Wir wagen einen Blick in die Zukunft.
Der Begriff Regenbogenfamilien wird nur noch selten verwendet. Familien sind so bunt und vielfältig wie die Gesellschaft, in der Erwachsene mit Kindern leben. Das Abstammungsrecht wurde an diese gesellschaftliche Vielfalt von Familienmodellen angepasst. Alle Erwachsenen, die Verantwortung für ein Kind übernehmen wollen, sind rechtlich abgesichert. Für Kinder und Erwachsene ist es selbstverständlich, dass Männer- und Frauenpaare sowie Trans*Personen Eltern sein können. Familie ist da, wo Kinder sind, völlig unabhängig von der sexuellen Orientierung und der geschlechtlichen Identität der sorgetragenden Erwachsenen.
Das ist zugegebenermaßen ein positiver Blick in die Zukunft. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Diesen aktiv mit zu gestalten, sind wir alle nach wie vor aufgefordert. Denn gesellschaftliche Veränderungen passieren nicht ohne Kampf und ohne Einsatz gegen Diskriminierung, Ungleichbehandlung und Unsichtbarkeit.
* Die jeweiligen Jahreszahlen umfassen einen Zeitraum von plus/minus fünf Jahren. Wenn also von Regenbogenfamilien 2000 die Rede ist, sind Familien gemeint mit Kindern, die zwischen 1995 und 2005 geboren wurden. Auch ist klar, dass es hier um Typisierungen und Cluster geht. Es gab und gibt immer auch andere familiäre Konstellationen und Bedingungen. Zudem schreibe ich als lesbische Frau und Mutter. Die Perspektiven schwuler Väter kann ich nicht einnehmen. Die schwule Geschichte von Regenbogenfamilien würde sich anders lesen. Falls sich ein schwuler Vater motiviert fühlt, freut sich Regenbogenfamilien Köln über ergänzende Beiträge aus schwuler Perspektive!
geschrieben von Birgit Brockerhoff
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