Meine Kinder sind toll und mein Mutterherz findet sie natürlich wunderschön. Ich fotografiere sie gerne. Ins Internet stelle ich diese Fotos nicht. Das ist meine persönliche Entscheidung, die ich vor vielen Jahren unter Abwägung verschiedener Faktoren getroffen habe.
Die Meinungen gehen auseinander
Die Art und Weise, in der Eltern mit der Veröffentlichung von Fotos ihrer Kinder umgehen, ist sehr unterschiedlich. Viele Eltern veröffentlichen grundsätzlich keine Fotos und Videos, andere decken die Gesichter ihrer Kinder mit Photoshop-Emojis ab. Oder die Kinder werden nur von hinten gezeigt. Wir Eltern versuchen so den Balanceakt zwischen dem Bedürfnis Momente im Leben unserer Familie zu teilen und dem Bedürfnis Privatsphäre und Datenschutz unserer Kinder zu wahren, miteinander zu vereinbaren.
Der Trend: Sharenting
Immer mehr Eltern entscheiden sich bewusst dafür, Fotos ihrer Kinder in sozialen Netzwerken oder auf ihren „privaten“ Blogs und Webseiten zu veröffentlichen. Sie wollen es sich nicht nehmen lassen, ihr Familienglück mit der Welt und/oder ihren Freund*innen zu teilen.
Und ja, es gibt viele berührende Anlässe und Momente, die unsere Elternherzen höher schlagen lassen. Situationen, die wir gerne mit Großeltern, Freund*innen oder der Regenbogenfamilien-Community im sozialen Netzwerk der Wahl teilen möchten. Diesem Drang wird häufig schon vor der Geburt nachgegeben: Posts von erfolgreichen oder auch missglückten Inseminationsversuchen werden geschrieben und mit Fotos von Schwangerschaftstests bebildert. Anwachsende Baby-Bäuche werden präsentiert. Ich sehe glückselige Mütterpaare mit ihrem frisch geborenen Säugling und überglückliche Väterpaare mit ihren Sprösslingen. Da werden erste Schritte, Urlaubs-Schnappschüsse und Kindergeburtstage gepostet. Wir alle freuen uns über Kommentare und Likes. Gerade im letzten Pandemie-Jahr, in dem wir wenig Gelegenheiten hatten uns „face to face“ zu treffen, war es schön die kleinen und großen Schritte unserer Kinder via digitaler Kanäle zu teilen.
Für das Teilen von Fotos und Videos der eigenen Kinder in sozialen Netzwerken gibt es mittlerweile sogar einen eigenen Begriff: Sharenting. Das Wort setzt sich zusammen aus den englischen Wörtern "share" (teilen) und "parenting" (erziehen).
Die Gefahren sind bekannt
Jede Mutter, jeder Vater, jedes Elternteil wird sich hoffentlich Gedanken gemacht haben, bevor sie Kinderfotos ins Netz stellen. Denn eigentlich sollte inzwischen bei allen angekommen sein, dass das Internet nicht zu verwechseln ist mit einem Fotoalbum, egal ob digital oder aus Papier. Uns allen ist klar, dass wir Anbietern sozialer Netzwerke und anderen Usern Nutzungsrechte und Möglichkeiten zum Missbrauch einräumen, indem wir Bilder unserer Kinder hochladen. Wir wissen: Einmal ins Netz gestellt ist es faktisch unmöglich zu kontrollieren und zu steuern, wo unsere Bilder letztlich landen.
Es dürfte ebenfalls allen klar sein, dass das Internet leider auch ein Tummelplatz für Pädophile ist. Diese Tätergruppen tauschen online Fotos und Videos von Kindern aus. Dabei beschränken sich die Fotos inzwischen nicht mehr auf Abbildungen von Nacktheit oder eindeutigen Posen. Auch alltägliche Kinderbilder von Facebook und Instagram landen auf pädophilen Webseiten im Darknet, wie beispielsweise diese Recherche des ARD-Politikmagazins Panorama und von STRG_F ergab. Dennoch gibt es (gute) Gründe, warum sich Regenbogenfamilien-Eltern dafür entscheiden, mit Bildern ihrer Familie ins Netz und in die Öffentlichkeit zu gehen.
Als Regenbogenfamilien sichtbar werden
Immer mehr lesbische, schwule, queere, inter und trans* Menschen entscheiden sich dafür, Kinder zu bekommen und/oder mit Kindern zu leben. Regenbogenfamilien sind ein selbstverständlich werdender Bestandteil moderner Familienvielfalt. Aber auch im Jahr 2021 müssen Regenbogenfamilien um Sichtbarkeit, Anerkennung und Gleichstellung kämpfen. Wir tun dies Tag für Tag in unserem alltäglichen Umfeld und auch zu besonderen Anlässen, wie dem Family Equality Day oder auf einer CSD-Parade. Wir bemühen uns auch um mediale Präsenz im Fernsehen, im Radio, im Podcast und natürlich auch auf Webseiten und auf allen sozialen Kanälen.
Was wäre eine Berichterstattung über Familien ohne Bilder, ohne Menschen, ohne sichtbare Eltern und sichtbare Kinder? Das wäre abstrakt und langweilig. Um die Vielfalt und auch die Normalität von Regenbogenfamilien sichtbar zu machen, braucht es Menschen, die bereit sind sich vor eine Kamera oder vor ein Mikrofon zu stellen und sich als Eltern zu präsentieren. Dies kann die Sichtbarmachung der Kinder mit einschließen.
Regenbogenfamilien kämpfen für Gleichstellung
Das Private ist politisch. Das war einmal ein Slogan der Frauenbewegung. Inzwischen ist es ein Statement, was auch und gerade für Regenbogenfamilien gilt. Anders als für heteronormative Familien kann digitale Präsenz für Regenbogenfamilien auch ein politischer Akt sein. Ein Blog, ein YouTube- oder Instagram-Kanal, der das Leben einer Regenbogenfamilie zeigt, setzt nicht nur ein privates, sondern gleichzeitig ein politisches Zeichen. Wir sagen damit: „Seht her, auch wir sind Familie. Auch wir leben Familienalltag. Auch wir sind Eltern und geben Kindern ein gutes Zuhause. Wir fordern die gleichen Rechte wie alle anderen Eltern auch.“
Die Initiative Nodaption streitet gerade vor mehreren Gerichten für die Anerkennung der Elternschaft beider Mütter und für die Abschaffung der Stiefkindadoption. Denn trotz „Ehe für alle“ müssen zwei Mütter für ihr in ihre Ehe hinein geborenes Kind noch immer das diskriminierende Verfahren der Stiefkindadoption durchlaufen.
Neben Zwei-Mütterfamilien gibt es weitere Familienformen, die um Sichtbarkeit und gleiche Rechte kämpfen. Queere Mehreltern-Familien, Eineltern-Familien und Familien mit Trans* oder Inter* Elternteilen sind in der heteronormativen Sicht auf Familie bisher wenig präsent. Familienvielfalt braucht Öffentlichkeit, um gesehen, anerkannt und gleichgestellt zu werden.
Alternativen suchen: Motive ohne Verstöße gegen die Privatsphäre
Als Betreiberin der Webseite regenbogenfamilien-koeln.de nutze ich Miniaturfiguren, um die Vielfalt von Regenbogenfamilien darzustellen. Das mache ich vor allem, weil es mir Spaß macht queere Familien aufzustellen, auch weil die Figuren ursprünglich aus dem konservativen Umfeld der Modelleisenbahnen stammen. Ich mache es aber auch, weil dies eine Möglichkeit ist, Familienvielfalt bildhaft darzustellen, ohne auf Fotos von Kinder und Eltern zurückgreifen zu müssen. Eine andere viel genutzte Möglichkeit ist z.B. die grafische Darstellung von Familienszenen.
Schwierige Balance zwischen politischem Aktivismus und Privatsphäre
Wir leben in einem medialen Zeitalter. Für eine Berichterstattung und mediale Präsenz braucht es Familien, die bereit sind ihre Wohn- und Kinderzimmertüren weit zu öffnen. Die Macht der Bilder und der Clips ist groß. Warum sollten wir uns davon ausschließen? Jede Familiengründung, jedes in eine Regenbogenfamilie hinein geborene oder adoptierte Wunschkind ist ein großartiges Geschenk. Wir kämpfen mit medialer Präsenz für die Gleichstellung ALLER Eltern. Unsere Kinder haben das gleiche Recht wie andere Kinder, zwei - oder mehrere oder nur ein - Elternteil zu haben, die Verantwortung und Pflichten übernehmen. Eltern müssen unabhängig von ihren geschlechtlichen und/oder sexuellen Identitäten rechtlich abgesichert sein. Punkt.
Gleichzeitig wollen wir als Eltern die Privatsphäre unserer Kinder schützen. Das stellt uns vor eine komplexe Herausforderung. Diese löst jede Regenbogenfamilie auf ihre eigene Art. Mal entscheiden wir uns dafür privat zu bleiben und nichts oder nur das Nötigste von uns und unseren Kindern in den digitalen Raum zu geben. Mal entscheiden wir uns dafür, öffentlich zu werden, auf YouTube, Instagram oder via TV-Beitrag. Oder auf dem Rechtsweg.
Jede dieser Entscheidungen ist gut und richtig, so lange wir dabei unsere Kinder im Blick behalten. Nicht nur beim Kampf um gleiche Rechte für unsere Familien, sondern auch im Hinblick auf die Rechte unserer Kinder hinsichtlich Privatsphäre und Datenschutz.
geschrieben von Birgit Brockerhoff
Linktipps
"Schau hin!" – ein Fotoguide für Eltern
Die Initiative "Schau hin!" informiert über die Mediennutzung von Kindern und unterstützt Eltern bei der Medienerziehung. Dieses praktische PDF hilft Eltern bei der Entscheidung, ob sie ein bestimmtes Bild ihres Kindes im Netz posten können oder es besser bleiben lassen solllten.
Sechs Tipps für den Umgang mit Kinderfotos
Das Deutsche Kinderhilfswerk gibt folgende Empfehlungen:
- Das Kind einbeziehen
- Keine personenbezogenen Daten gemeinsam mit einem Foto preisgeben
- Sicherheits- und Privatsphäre-Einstellungen der sozialen Netzwerke regelmäßig überprüfen
- Keine Bilder von Kindern in peinlichen oder unangemessenen Situationen posten.
- Vorbildfunktion wahrnehmen
- und selbst verantwortungsvoll mit persönlichen Daten umgehen.
Klicksafe: Zu nackt fürs Internet?
Der Flyer für Eltern: „Zu nackt fürs Internet? – 10 Schritte für mehr Sicherheit im Umgang mit Fotos online“ (PDF). Der Flyer von Klicksafe regt zur Diskussionen an und gibt Denkanstöße, Inhalte nicht unüberlegt über digitale Medien zu verbreiten.
In der Un-Kinderrechtskonvention ist auch das Recht am eigenen Bild festgeschrieben, welches für Kinder wie viel Erwachsene gilt. Das bedeutet, Eltern können im Grunde nicht für ihre minderjährigen Kinder einer Veröffentlichung zustimmen.
Artikel 16: Schutz der Privatsphäre und Ehre
(1) Kein Kind darf willkürlichen oder rechtswidrigen Eingriffen in sein Privatleben, seine Familie, seine Wohnung oder seinen Schriftverkehr oder rechtswidrigen Beeinträchtigungen seiner Ehre und seines Rufes ausgesetzt werden.
Dieser Beitrag wird veröffentlicht in Kooperation mit SCHAU HIN! Was Dein Kind mit Medien macht. SCHAU HIN! ist eine Initiative zur Sensibilisierung über die Mediennutzung von Kindern.
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