Ich sitze zwischen Bikini, Regenklamotten und Medikamentenschachteln im Wohnzimmer und versuche alle Eventualitäten zu berücksichtigen. Morgen geht es an die Ostsee! Übermorgen wollen wir testen. Neben den Coronatests, die ich sicherheitshalber mal einpacke liegen zwei Schwangerschaftstests.
Unser letzter Kinderwunschversuch ist 13 Tage her. Also stehen auf der Packliste Tests, Folsäure und Progesteron. Das Medikament zur Zylus-Stimulation, falls es nicht geklappt hat und wir sofort weitermachen dürfen. Zähneknirschend packe ich auch noch Menstruationstasse und Ibus ein. Kurz bin ich versucht den Periodenkram wieder auszupacken. Doch nein, es hilft nichts. Man muss ja auch einen Regenschirm mitnehmen, wenn man nicht nass werden möchte. Oder so.
Meine Liebste ist schon vorgefahren und genießt seit einer Woche Sauna, Strand und Frühstücksbuffet. Mit jedem Arbeitstag ist meine Vorfreude auf den Urlaub gewachsen. Und darauf sie wiederzusehen. Wir verbringen unseren ersten Abend am Meer. Kleine Kinder buddeln im Sand, die mittleren lassen Drachen steigen und die großen spielen Volleyball. Ich stolpere fast über einen West Highland Terrier, der ein kleines Mädchen an der Leine spazieren führt. Gehört das so? Egal. Beide sehen sehr zufrieden aus.
Am Strand geht die Sonne unter, auf der anderen Seite steht der Vollmond am Horizont. Es ist irgendwie kitschig. Und ich bin wehmütig. Wehmütig ob dieser Zukunft, von der ich nicht weiß wie sie aussehen wird. Müde vom Alltag. Vom Hoffen. Vom Warten. So gespannt, was morgen raus kommt. Ich habe Angst vor dem Ergebnis - so lange habe ich für diesen Moment gekämpft, dass ich nicht schon wieder eine Niederlage einstecken will. Mir kommen die Tränen.
Wir wachen am Ostersonntag früh auf. Fremde Betten sind irgendwie immer eine Sache für sich. Ich habe schon am Abend vorher Schokohasen im Schrank und hinter den Vorhängen versteckt und schicke meine Frau eine Runde Ostereier suchen. Ich drücke mich vor dem Moment der Wahrheit, doch meine Blase nimmt mir die Entscheidung ab.
Also pinkel ich – mal wieder – in einen Becher. Als ich den Test in den Urin stecke leuchtet augenblicklich ein blauer Strich auf. Äh. Stopp, man darf erst nach drei Minuten gucken! Ich rase aus dem Bad und stelle meinen Timer. Pah. Noch weiß ich nichts.
Meine Frau wird später sagen, dass es für sie in diesem Moment schon absolut klar war.
Dann sind die drei Minuten rum. Der Test ist positiv! Ich vergesse, glaub ich, genauso lange das Atmen und reiße gleich den nächsten Test auf. Andere Marke. Sicher ist sicher. Hier ist die Linie rosa, nicht blau. Meine Freundin ist abgebrühter als ich und macht schon mal den alkoholfreien Sekt auf. Ich glaube es immer noch nicht und schicke meiner Schwester ein Foto der Tests. Zurück kommen acht Zeilen lachende Emojis. Meine Freundin schwankt zwischen Glück und Fassungslosigkeit. Gerade mehr Glück. Ich bin immer noch fassungslos. Wir tapsen irgendwie verstrahlt zum Frühstück.
So richtig viel runter kriege ich nicht. Und das wird auch so bleiben. Nach drei Tagen Durchfall setzen Übelkeit und Erbrechen ein. In die Sauna traue ich mich auch nicht, wer weiß ob zu viel Wärme dem Baby schadet. Dafür schlafe ich viel. Eigentlich meistens. Bin ich sonst immer die Aktivere von uns beiden, schlurfe ich jetzt hinter meiner Frau am Strand lang und frage wann wir endlich da sind. Manchmal setze ich mich auf einfach mitten in der Wanderung in den Sand weil ich nicht mehr kann. Da ich ja nichts runter kriege oder es gleich wieder ausspucke, habe ich auch dauernd Hunger. Oder mir ist schwindelig. Meine Frau ist wirklich geduldig mit mir. Abends geht sie alleine in die Sauna, damit ich schon mal schlafen kann. So hab ich mir meinen Urlaub eigentlich nicht vorgestellt. Gleichzeitig ist es mir total egal. Ich bin schwanger. Da ich es schon wieder nicht glauben kann kaufe ich mir zur Sicherheit gleich nochmal zwei Tests in der Drogerie.
Und irgendetwas in mir beginnt die neue Langsamkeit zu genießen. Dann machen wir halt viele Pausen, essen Eis, trinken Kaffee und Tee, gehen ins Kino und bummeln am Meer. Und langsam kristallisiert sich aus diesem Gefühlschaos Glück heraus. Ein tiefes, immer noch ein bisschen ungläubiges Glück. Noch nie war ich so nah dran.
geschrieben von Julie
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Lu (Donnerstag, 16 Juni 2022 18:14)
Oh wie aufregend. Ich drücke euch die Daumen!