Kinder brauchen Schulen, die auf ihre Bedürfnisse und Interessen eingehen und ihre Lebenslagen berücksichtigen. Kinder brauchen Schulen, die diskriminierungsfrei und ohne Homophobie aufgestellt sind. Alle Kinder brauchen solche Schulen. Doch gerade Kinder aus Regenbogenfamilien sind mehr noch als andere Kinder darauf angewiesen, dass unterschiedliche Lebensentwürfe und Familienmodelle selbstverständlich thematisiert werden. Sich des Themas Familienvielfalt und Diskriminierung von Lesben und Schwulen nicht anzunehmen, bedeutet, Vorurteilen und Diskriminierungen einen Raum in Schulen zu geben. Nötig ist also eine aktive Auseinandersetzung seitens der Schulen, weil sonst die Thematisierung den einzelnen Kindern überlassen bleibt.
Mein Sohn geht in die 5. Klasse eines Kölner Gymnasiums. Meine Tochter besucht die 3. Klasse einer Kölner Grundschule. Inwieweit im Unterricht meiner Kinder das Thema Familienvielfalt aktiv angegangen wird, ist für mich als Mutter schwer zu beurteilen. Ich bin auf die Erzählungen meiner Kinder angewiesen. Leider sind beide nicht sonderlich gesprächig, was Unterrrichtsinhalte betrifft. Ich erinnere mich jedoch an eine Religionsstunde meines Sohnes im zweiten Schuljahr. Die Kinder sollten ihre Familien anhand von Vorlagen aus Papier ausschneiden und aufkleben. Mein Sohn kam mit seinem Werk nach Hause und ich schaute ziemlich entgeistert auf vier Personen: eine Mutter, einen Vater und zwei Kinder. "Wieso hast du einen Mann und eine Frau aufgeklebt? Wo sind denn Mama und ich?", fragte ich ihn. Daraufhin er: " Jeder hatte nur eine Vorlage und auf der waren nur ein Mann und ein Frau. Also habe ich die genommen." Tja, so sollte es nicht laufen. Was lernen Kinder dabei? Ich und meine Familie kommen nicht vor! Kinder aus Regenbogenfamilien wird es selbst überlassen, ihre Familie zu erklären. Kinder sind damit überfordert. Kinder wollen gesehen werden. Mädchen und Jungen wollen als normal wahrgenommen werden, das heißt sie wollen weder als etwas Besonderes angesehen, noch ausgegrenzt werden. Wenn Kindern das Gefühl vermittelt wird, ihre Familienform kommt micht vor, werden Kinder versuchen zu vermeiden ihre Familienform zu benennen.
Es gibt meines Wissen bisher kein Schulbuch, in dem Regenbogenfamilien thematisiert werden. Der Blick in Schulbücher und Schulmaterialien meiner Kinder zeigt mir deutlich, dass Familienvielfalt nur eingeschränkt bis gar nicht in den Texten und Bildern vorkommt. Homosexualität wird, wenn überhaupt, nur im Rahmen von Sexualkunde/im Aufklärungsunterricht thematisiert. Für Kinder wird ihre Familienform somit in die Nähe von Sexualität gerückt. Ein Zusammenhang, der nicht der Lebenswirklichkeit unserer Kinder entspricht. "Meine Eltern haben Sex.", ist ein Gedanke, der keinem Kind und vor allem keinem Jugendlichen, egal ob mit hetero- oder homosexuellen Eltern, sonderlich behagt. Kinder aus Regenbogenfamilien erleben schwule und lesbische Lebensentwürfe in ihrem Alltag als selbstverständlich und in ihrer gesamten Bandbreite. Der Alltag von Kindern in Regenbogenfamilien ist vor allem geprägt durch Normalität und Selbstverständlichkeit.
Diese Normalität und Selbstverständlichkeit sollte sich auch im Schulalltag und in Schulmaterialien wiederfinden. Schulen müssen in die Pflicht genommen werden, unterschiedliche Lebensentwürfe, Lebens- und Familenformen aufzugreifen und gleichwertig neben anderen zu thematisierten. Notwendig sind verpflichtende Weiterbildungen für Lehrkräfte zu den Themen sexuelle und geschlechtliche Vielfalt sowie eine verbindliche Verankerung der Themen in schulischen Curricula. Schulen entziehen sich sonst ihrer Verantwortung, die bestehende Vielfalt aufzuzeigen. Denn genau das ist nötig: Vielfalt zu zeigen! Nicht: Hier die Normalität und da die Regenbogenfamilien oder hier die Heteros und da die Schwulen und Lesben. So funktioniert Heteronormativität. Sondern: Es gibt eine breite Palette an Lebensentwürfen, an Geschlechtsidentitäten und an Familienformen - und alle sind ok! Vielfalt ist ein bunter Farbkasten an Lebens- und Liebesentwürfen, die allen Menschen offen stehen. Die selbstverständliche Darstellung von Familienvielfalt und Homosexualität gehört als Querschnittsthemen in alle Fächer, von Mathematik, über Erdkunde, Politik, Geschichte bis hin zu Deutsch. Nur so können Kinder ihre Lebensrealität auch im Schulalltag wiederfinden.
Zur Zeit gibt es in einigen Bundesländern begrüßenswerte Bestrebungen, die Bildungspläne in Bezug auf sexuelle sowie geschlechtliche Vielfalt im Schulunterricht zu überarbeiten. Dabei geht es nicht um Früh-Sexualisierung von Kindern oder die Instrumentalisierung von Schulen, wie es rechtspopulistische Kritiker*innen darstellen. Das Aufgreifen von sexueller und geschlechtlicher Vielfalt und Familienvielfalt dient dem Wohl aller Kinder und kommt ihrem Recht auf umfassende Information nach.
So sind gemäß einer Untersuchung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) zum Thema “Wie stehen die Deutschen zum Thema Homosexualität?” fast 90 Prozent der Ansicht, es sollte ein Ziel der Schule sein, den SchülerInnen Akzeptanz gegenüber homo- und bisexuellen Personen zu vermitteln. Im Rahmen ihres Themenjahrs „Gleiches Recht für jede Liebe“ veröffentlicht die Antidiskriminierungsstelle aktuell einen Videospot, um deutlich zu machen: Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt sollten im Unterricht ein altersgerecht vermitteltes Querschnittsthema sein! #alleswissen
Dass diese Art von Kampagnen nötig und wichtig sind, zeigt auch eine Umfrage der European Union Agency for fundamental Rights (EU LGBT Survey) . Laut dieser sind Wörter wie „schwul“ auch heute noch verbreitete Schimpfworte auf Schulhöfen. Infolge entschließen sich zwei Drittel der Jugendlichen ihre sexuelle oder geschlechtliche Identität lieber zu verheimlichen. Unter Lehrkräften sieht es nicht anders aus: In einer kürzlich veröffentlichten Umfrage der Antidiskriminierungsstelle über die Erfahrungen von LSBTIQ*-Lehrkräften in Deutschland wurde deutlich, dass auch mehr als die Hälfte der Lehrkräfte in Deutschland nicht offen mit ihrer LSBTIQ*-Identität umgehen.
Projekte wie SCHLAU NRW und Schule der Vielfalt leisten seit vielen Jahren wertvolle Arbeit, um sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in Schulen voranzubringen. Rund um das Thema Regenbogenfamilien könnte auch in diesen Projekten mehr passieren. Denn ich möchte, dass meine Kinder und mit ihnen alle anderen Kinder in den nächsten Jahren die Chance erhalten, sich und ihre Familienformen als selbstverständlicher Bestandteil in Schule und Unterricht wiederzufinden.
Weiterführende Links und Materialien
Querre Bildung
ist der Bundesverband der Bildungs- und Aufklärungsprojekte sowie Bildungsinitiativen im Bereich sexueller und geschlechtlicher Vielfalt.
Schule der Vielfalt - Schule ohne Homophobie
setzt sich dafür ein, dass an Schulen mehr gegen Homo- und Transphobie und mehr für die Akzeptanz von unterschiedlichen Lebensweisen getan wird. Im Schulprojekt können sich Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer für ihre Schule der Vielfalt einsetzen. Auf der Webseite gibt es Materialen für Unterricht und Projekttage und weitere Vorschläge, wie Schulen sich für die Akzeptanz unterschiedlicher Lebensweisen einsetzen können. >> Schule der Vielfalt
SCHLAU NRW
ist das landesweite Netzwerk der lokalen SCHLAU Gruppen in Nordrhein-Westfalen. SCHLAU bietet Bildungs- und Aufklärungs-Workshops zu geschlechtlicher und sexueller Viefalt für Schulen, Sportvereine, Jugendzentren und andere Jugendeinrichtungen an. Im Zentrum von SCHLAU stehen Begegnungen und Gespräche zwischen Jugendlichen und lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans*, inter* und queeren Teamer_innen. >> SCHLAU NRW
Bunte Kitas – Starke Kinder
Auf der Homepage gibt es Materialien für pädagogische Fachkräfte aus dem Vorschulbereich, u.a. das Memo-Spiel "Familienbilder" zum Downloaden und Ausdrucken. Einige der Materialien sind auch im Grundschulbereich gut zu gebrauchen. >> Bunte Kitas - Starke Kinder
School is Out?!
ist eine Studie aus dem Jahr 2009, die Erfahrungen von Kindern aus Regenbogenfamilien in der Schule in Deutschland, Schweden und Slowenien vergleicht.
Das Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien der Humboldt-Universität zu Berlin hat aus den Ergebnissen der Studie Unterrichtsmaterialen
entwickelt.
Studie von Melanie Bittner im Auftrag der Max-Troeger-Stiftung
zur Geschlechterkonstruktionen und zur Darstellung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans* und Inter* (LSBTI) in Schulbüchern. Melanie Bittner beschreibt die rechtlichen Rahmenbedingungen zu Gleichstellung und Antidiskriminierung auch am Beispiel von Schulgesetzen und geht auf den Schulbuchmarkt ein. Sie analysier 19 Bücher aus drei Fächern In der Zusammenfassung zeigt sie auf, wo Veränderungen hin zu gleichstellungsorientierten Schulbüchern ansetzen können. Als Unterstützung für die pädagogische Praxis dient eine Sammlung von Unterrichtsmaterialien.
geschrieben von Birgit Brockerhoff
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Veit (Donnerstag, 20 Dezember 2018 13:37)
Tolle Zusammenfassung. Gut recherchiert. Gute Links. Danke.