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Eheöffnung zum Greifen nah

(c) Liebesschlösser; regenbogenfamilien-koeln.de

Um es vorweg zu sagen: Ich bin kein Fan der Ehe. Ich war es nie. Und doch bin ich seit 9 Jahren verpartnert. Der Kinder wegen. Die Verpartnerung war für mich und meine Frau die einzige Möglichkeit unsere gemeinsamen Kinder durch Stiefkindadoption rechtlich abzusichern. Und dennoch: Ich freue mich wie Bolle über die sich überschlagenden Ereignisse dieser Woche.

Am Montag ließ Merkel das Wort von der "Gewissensentscheidung" fallen, am Dienstag erklärte die SPD, es werde noch in dieser Woche eine Abstimmung darüber geben, am Mittwoch gab der Rechtsausschuss des Bundestages seinen Segen und am Freitag sollen nun die Abgeordneten in freier Abstimmung ihr Votum dafür abgeben, ob Schwule und Lesben zukünftig heiraten dürfen. 

Plötzlich ist sie zum Greifen nah, die "Ehe für Alle". Wahnsinn. Der Countdown der letzten Tage hat alle überrascht. Es war Angela Merkel, die diese Ereignisse ins Rollen gebracht hat. In einem Live-Interview mit BRIGITTE wurde sie von einem Zuschauer nach ihrer Meinung zur "Homo-Ehe" gefragt und siehe da, ihr grummeliges Bauchgefühl, was sie noch vor vier Jahren im Bundestagswahlkampf, als Grund vorschob, warum sie die Gleichstellung homosexueller Paare mit Eheleuten nicht will, ist  einem "... dass es eher in Richtung einer Gewissensentscheidung ist, als dass ich jetzt hier per Mehrheitsbeschluss irgendwas durchpauke" gewichen. 

Der Grund für ihren Sinneswandel scheint ein persönliches Erlebnis in ihrem Wahlkreis gewesen zu sein: Eine lesbische Frau hatte Frau Merkel zu sich und ihrer Partnerin nach Hause eingeladen, damit Merkel sich davon überzeugen könne, dass es ihren fünf Pflegekindern gut gehe. "Wenn der Staat einem homosexuellen Paar Kinder zur Pflege gibt, kann ich nicht mehr mit dem Kindeswohl argumentieren", so Merkel.  

So wenig braucht es, um die Kanzlerin von ihrem Bauchgefühl abzubringen? Wohl kaum. Dahinter steht ein glasklares politisches Kalkül. Mit ihrer Aussage hat Merkel der SPD und den Grünen den Wind aus den Wahlkampf-Segeln genommen. Merkel ist viel zu lang auf der politischen Bühne unterwegs, um spontan und mal eben nebenbei beim Plaudern eine so wichtige politische Aussage zu machen. Sie wußte was sie tat. Das ist Wahlkampf a` la Merkel. Beim Interview-Auftritt mit einer Frauenzeitschrift wie BRIGITTE setzt sie ihr Eckfähnchen und bringt das parlamentarische Berlin ins Kreiseln. 

Politisches Kalkül hin oder her. Die Einladung zum Hausbesuch beim lesbischen Paar mit fünf Pflegekindern beflügelt meine Fantasie:

Szenario 1: Frau Merkel nimmt die Einladung an und kommt spontan zum Hausbesuch beim lesbischen Paar vorbei. Die Wohnung ist zu klein und unaufgeräumt, die Eltern scheinen überfordert, die Kinder wirken vernachlässigt. Frau Merkel fühlt sich in ihrem schlechten Bauchgefühl bestärkt. Die Eheöffnung für homosexuelle Paare bleibt auf dem Eis liegen, wo sie schon seit mindestens acht Jahren selig ruht. 

Szenario 2: Die Kanzlerin besucht ein Hetero-Paar mit 5 Pflegekindern. Die Wohnung ist zu klein und unaufgeräumt, die Eltern scheinen überfordert, die Kinder wirken vernachlässigt. Frau Merkel bekommt ein schlechtes Bauchgefühl und verkündet im nächsten Interview, sagen wir mal mit der Zeitschrift EMMA, sie wäre dafür, dass Hetero-Paaren keine Kinder mehr vom Jugendamt überlassen werden sollten. Überhaupt sei es für sie - nach diesem einschneidenden Erlebnis - fraglich, ob heterosexuelle Paare weiterhin heiraten dürften....

Schluss mit der fantasievollen Realsatire. Es gibt ein paar entscheidende Fragen, die sich mir stellen:  Was bedeutet die Eheöffnung für uns Regenbogenfamilien? Sie bedeutet für diejenigen unter uns, die gemeinsam ein Kind adoptieren möchten, dass dies als Paar zukünftig möglich sein wird. Was aber ist mit uns lesbischen Paaren, bei denen Kinder in die Ehe hineingeboren werden. Leibliche Kinder also der einen oder der anderen Mutter. Bisher mussten wir das aufwendige und nicht auf uns zugeschnittene Verfahren der Stiefkindadoption durchlaufen. Ändert sich dies durch die "Homo-Ehe"? Meines Wissens nach: Nein! Mit der "Homo-Ehe" erhalten wir Eltern und unsere Kinder nicht automatisch die gleichen Rechte wie in heterosexuellen Ehen gezeugte Kinder. Hier besteht weiterhin Handlungsbedarf. 

Und was ist mit allen, die sich bisher verpartnert haben? Werden diese zig tausend Paare nun automatisch in den Status "verheiratet" übergehen? Oder gilt die Ehe nur für die Paare, die zukünftig zueinander JA sagen? Diese Fragen treiben mich um. In der tagesaktuellen Berichterstattung habe ich  dazu bisher keine Antworten erhalten.

Das Ja zur "Ehe für Alle" ist ein historischer und längst überfälliger Schritt. Nicht Merkel, nicht die SPD und schon gar nicht die CDU haben hierzu Entscheidendes beigetragen, sondern die Grünen, allen voran Volker Beck, haben hierzu in vielen Jahren nicht ermüdender Arbeit den Grundstein für diesen historischen Schritt gelegt. 

Wenn das Ja zur "Ehe für Alle" da ist, ist es an der Zeit für eine Debatte um die Gleichstellung aller Familienformen. Unverheiratete heterosexuelle wie homosexuelle Paare mit Kindern, Alleinerziehende und Mehrelternfamilien fehlt es nach wie vor an Rechten. Nach dem JA zur Homo-Ehe muss der Kampf um Gleichstellung für genannte Personengruppen folgen. Denn: Familie ist da, wo Kinder sind. Egal, ob die Eltern allein, zu zweit oder zu viert sind und egal, ob sie verheiratet sind oder nicht. Die Förderung von Familien muss Vorrang bekommen. Dazu gehört für mich vor allem auch die Abschaffung des Ehegattensplittings zugunsten einer Familienförderung. Die Abschaffung der Privilegien, die mit dem Institut der Ehe verknüpft sind, sind für mich das Fernziel, für das es zu kämpfen lohnt.

Aber bis es soweit ist: Daumen drücken, dass die hauchdünne Mehrheit von 10 Sitzen am Freitag ausreichen wird, damit die 320 Abgeordneten von Grünen, Linke und SPD mit ihren Stimmen die "Ehe für Alle" auf den Weg bringen können. Und dann: Sektgläschen hoch! Freuen!


Update, 1. Juli 2017

Gestern wurde die Öffnung der Ehe für schwulen lesbische Paare im Bundestag mit 393 JA Stimmen gegen 226 NEIN Stimmen und 4 Enthaltungen. Neben der großen Freude über dieses längst überfällige Ereignis, gibt es für uns Regenbogenfamilien und solche, die es werden wollen, weiterhin eine große Benachteiligung, die dringend beseitigt werden muss. Die Stiefkindadoption muss von uns - und hier sind vor allem wir Frauen und Mütter betroffen! - nach wie vor durchlaufen werden. Im "Ratgeber Ehe für Alle" des LSVD heißt es hierzu:

4. Stiefkindadoption

Das "Gesetz zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts" hat an den Abstammungsregeln nichts geändert. 

Mutter eines Kindes ist weiterhin nur die Frau, die das Kind geboren hat (§ 1591 BGB). 

Für Kinder, die in eine Ehe hineingeboren werden, bestimmt zwar § 1592 Nr. 1 BGB, dass der Ehemann der zweite rechtliche Elternteil des Kindes ist, gleichgültig ob er tatsächlich der biologische Vater des Kindes ist oder nicht. Aber diese Vorschrift ist nicht um die „Ehefrau der Mutter“ erweitert worden. 

Die Lebenspartnerin der Mutter kann deshalb weiterhin nur im Wege der Stiefkindadoption der zweite rechtliche Elternteil des Kindes werden. 

Das Abstammungsrecht soll in der nächsten Legislaturperiode umfassend an die neuen Familienformen und die neuen medizin-technischen Zeugungsmöglichkeiten angepasst werden, siehe dazu unser Positionspapier "Regenbogenfamilien im Recht".

geschrieben von Familie Regenbogenbunt


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Kommentare: 1
  • #1

    Maria (Donnerstag, 29 Juni 2017 13:19)

    Jaaa, Daumen drücken! Es ist Zeit, dass Deutschland endlich im 21. Jahrhundert ankommt und in Sachen Ehe mit seinen Nachbarländern und viele anderen Ländern gleichzieht.