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Ist das Private noch politisch?

Wir haben viel erreicht in den letzten 15 Jahren: Seit 2005 kann/muss die soziale Mutter das biologische Kind ihrer Partnerin per Stiefkindadoption "adoptieren". Die sogenannte Sukzessivadoption, also die Adoption eines bereits durch einen Partner/eine Partnerin adoptiertes Kind, ist seit 2013 möglich. Seit 2017 gibt es die so genannte "Ehe für Alle", die rechtlich bisher keine Auswirkungen auf Regenbogenfamilien hat. Auch die gemeinsame Adoption eines fremden Kindes ist seit 2017 rechtlich möglich. Ist das alles, was wir wollen und brauchen? 

Aktuell kämpfen LSVD, die Grünen und andere Aktivist*innen für eine Reform des Familienrechts. Mit guter Aussicht auf Erfolg. Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) hat Ende Juli 2020 einen Gesetzentwurf für eine "Teilreform" angekündigt, der zumindest die Diskriminierung bei der Anerkennung der lesbischen Ehepartnerin einer leiblichen Mutter beheben soll. Denn bisher ist diese, wie wir alle wissen, auf eine Stiefkindadoption angewiesen, anstatt wie ein Ehemann automatisch zweiter Elternteil zu werden.

Im Mai 2020 hatte die Bundesregierung noch versucht, die Rechte von lesbischen Paaren zu beschneiden. Der Bundestag beschloss mit den Stimmen der Großen Koalition eine Reform des Adoptionsgesetzes, die die Diskriminierung für lesbische Mütter mit einer zusätzlichen Zwangsberatung bei Stiefkindadoptionen noch verschärft hätte. Der Gesetzentwurf wurde durch den Bundesrat abgelehnt.

Außen vor bei den aktuellen Bemühungen um die Modernisierung des Familien- und Abstammungsrecht bleiben Familien, bei denen mehr als zwei Personen die Verantwortung für Kinder übernehmen. Die Einbeziehung von Mehrelternschaft in die Reform wäre ein wirklich fortschrittlicher und den Realitäten vieler (Regenbogen)Familien gerecht werdender Schritt. 

 

Was ist privat? Was politisch?

Wenn ich als Privatmensch mit meiner Partnerin eine Familie gründe, stoße ich schnell auf gesellschaftliche Strukturen, die mich und mein Familienmodell nicht mitdenken und berücksichtigen. Nach der Geburt meines Kindes muss ich einen langen Behördenweg durchlaufen bis in der Geburtsurkunde unseres Kindes beide Mütter stehen. Bei der Anmeldung meines Kindes zum Kindergarten oder zur Schule muss ich die Formulare ändern, weil die Kategorie "Vater/Mutter" nicht auf unsere Familie zutrifft. Im Restaurant muss ich die Frage hören "Kommt noch jemand oder sind Sie allein?", wenn ich mit meiner Frau und meinen Kindern an einen Tisch geführt werde. Und wenn ich die Rechnung bezahlen will, wird gefragt: "Zahlen Sie getrennt oder zusammen?". Wenn ich auf dem Spielplatz bin, fragst mich die Mutter neben mir auf der Bank: "Wie hast du und dein Mann es gemacht mit der Aufteilung der Elternzeit?". Ist das privat? Oder politisch?

Ich stoße also auf heteronormative Annahmen und erfahre am eigenen Leib, dass ich, um wirklich nach meinen Wünschen leben zu können, auch die politischen Gegebenheiten verändern muss. Ich fange vielleicht an, Menschen zu suchen, die Ähnliches erleben und gemeinsam etwas verändern wollen. Genau diesen Schritt haben zwei Mütter getan, die im Mai 2020 ihr Kind zur Welt gebracht haben. Sie planen eine Klage gegen das bestehende Abstammungsgesetz und sind auf der Suche nach weiteren Mitstreiterinnen: 

„Aufgrund der derzeit in Deutschland geltenden rechtlichen Situation hat unser Kind – entgegen des höchsten Rechtsgutes des Kindeswohles- nur einen Elternteil, nämlich diejenige von uns beiden, die unser Kind geboren hat.Vor diesem Hintergrund und weil es uns zutiefst verletzt und von uns als herabwertend und entwürdigend empfunden wird, auf eine langwierige und tief in unsere Privatsphäre eingreifende Adoption verwiesen zu werden, überlegen wir nun, den Klageweg zu beschreiten und hierüber gerichtlich feststellen zu lassen, dass wir beide Eltern unseres gemeinsamen Kindes sind.“ (Zitat entnommen der Webseite https://kampagne.regenbogen.family)

 

Das private bleibt politisch

Es gibt noch Einiges zu tun. Politisches Engagement Vieler könnte die Folge sein. Ist dem so? Leider nein. Und das wiederum hat viel mit der eigenen "Betroffenheit" zu tun. Denn wer eine Familie gründet, braucht alle Zeit und Kraft - vor allem in den ersten Jahren - für den Familienalltag. Umso wichtiger ist es, dass es Initiativen und politisch Aktive gibt, die sich für die Gleichstellung von Regenbogenfamilien einsetzen. Für den Rest von uns gibt es Möglichkeiten Menschen in der gleichen Lebenssituation zu treffen (siehe z.B. Gruppen) oder an Veranstaltungen und Events für Regenbogenfamilien teilzunehmen (siehe z.B. Aktuelles).  Wäre das privat oder politisch? Beides!

geschrieben von Birgit Brockerhoff

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Kommentare: 2
  • #1

    Barb (Montag, 05 Oktober 2020 10:13)

    Es hat sich viel verändert in den letzten Jahren, das sehe ich auch so, Gleichzeitig sehe ich immer mehr Regenbogenfamlien, die keine Lust haben sich als Regenbogenfamilen zu bezeichnen und schon gar nicht wollen sie sich vernetzen und treffen mit anderen Regenbogenfamlien. Ihnen reicht das erreichte, sie sehen sich angekommen in der "Mitte" der Gesellschaft, that´´´ s it. Politisch ist da dran gar nichts, es ist ein sich ausruhen auf Priviliegen, die andere erkämpft haben. Das mag hart klingen, ich meine das ist ihr gutes Recht und dennoch macht mich irgendwas daran wütend.

  • #2

    Lena (Montag, 05 Oktober 2020 10:22)

    Mit der Gründung einer Regenbogenfamilie wird man nicht politisch. Entweder war man vorher schon politsch aktiv oder eben nicht. Und mit Familie hat man dann andere Themen und Herausforderungen, es fehlt die Zeit für Aktivismus. Klar ist es schön andere Familien mit gleichgeschlechtlichen Eltenr zu treffen, aber das gibt es auch nur in den Großstädten und ob man sich dann mag ist eine andere Frage. Die Eltern aus unserer Nachbarschaft und aus unserem Kindergarten sind mir näher und lieber und da ist es auch kein Thema, dass wir zwei Mütter sind, das wird voll akzeptiert.