Seit September stürmen überall im Land heiratswillige Schwulen- und Lesbenpaare die Standesämter der deutschen Groß- und Kleinstädte. Jede dieser Hochzeiten ist ein individueller Glücksmoment und ein Triumph über die bisherige Ungleichbehandlung. Doch ist mit der Eheöffnung wirklich das Ende unserer Wünsche erreicht? Mitnichten.
Für uns Lesben und Schwule mit Kinder und mit Kinderwunsch bleibt der Kampf um eine Änderung des Abstammungsrechts. Auch hier sind die Dinge in Bewegung gekommen. Ob die Bewegung tatsächlich zu rechtlichen Änderungen führen wird, bleibt abzuwarten. In einer Jamaika-Koalition werden die Grünen mindestens gegen den Widerstand von CDU/CSU zu kämpfen haben.
Parallel erhöht die Eheöffnung und die damit verbundene gesellschaftliche Akzeptanz die Gefahr eines Rückschlages. Die deutsche Bevölkerung ist gespalten, nicht nur in Sachen Rechte für Homosexuelle und Trans*. Das Wahlergebnis der AfD bei der Bundestagswahl 2017 zeigt deutlich, dass ein erschreckender Anteil von Menschen in diesem Land lieber zu scheinbar einfachen und rückwärtsgewandten Lösungen für ihre Probleme und Ängste greifen, als sich mit der Komplexität der Herausforderungen, vor der Deutschland, Europa und die Weltgemeinschaft heute stehen auseinanderzusetzen.
Auch für viele islamische Länder ist Homosexualität eine der schlimmsten Sünden. Die Entscheidung für die Eheöffnung hat die Kluft zwischen den Kulturen definitiv vergrößert. Schariagläubige Muslime, fundamentalistische Christen sowie rechte „Wutbürger“ sind weltweit im Aufwind.
Genau der richtige Zeitpunkt, um feministische Gedankenansätze und Ziele (wieder) nach vorne zu holen und sichtbarer werden zu lassen.
Feminismus entsteht, wenn Frauen über ihre Rolle als Frau in der Gesellschaft kritisch reflektieren, diskutieren und letztlich, wenn Frauen versuchen gemeinsam die bestehenden Verhältnisse zu verändern. Feminismus bedeutet, die Welt aus Frauenperspektive zu betrachten und darin auf Themen und Lebenslagen zu stoßen, die Frauen anders betreffen als Männer. Feministisches Handeln entwickelt sich, wenn Frauen (und Männer) sich dafür einsetzen Benachteiligungen zu beseitigen. Das ist meine Definition von Feminismus.
Was bedeutet Feminismus für uns Regenbogenfamilien?
Als feministische Mutter in einer Regenbogenfamilie bin ich Teil eines Familiensystems, welches nicht der gesellschaftlichen Norm entspricht. Egal, ob mit Trauschein oder ohne. Egal, ob alleinerziehend oder zu viert erziehend. Als Regenbogenfamilie bin ich in meinem Alltag mit heteronormativen Vorstellungen von Familie konfrontiert. Ich bin aufgefordert, in vielen kleine Situationen und Begegnungen mein Familienmodell zu erklären.
Regenbogenfamilien bestehen zu einem hohen Prozentsatz aus lesbischen Müttern. Dies wird häufig durch die Medien verfälscht dargestellt, denn schwule Väter sind dort überproportional sichtbarer als lesbische Mütter. Hier wird das gleiche Phänomen deutlich, wie in anderen schwul-lesbischen Zusammenhängen: Schwule sind medial präsenter als Lesben. Woran das liegt, darüber kann ich nur Vermutungen anstellen. Ich denke, zum einen sind Männer insgesamt, also auch schwule Männer, in den Medien deutlich in der Überzahl. Zum anderen sind schwule Männer eher bereit in die mediale Öffentlichkeit zu gehen. Schwule Väter haben für die Medien darüber hinaus einen größeren Nachrichtenwert als lesbische Mütter, denn sie brechen mit gleich zwei heteronormativen Stereotypen: 1. mit der Vorstellung, dass Väter nicht versorgend in einem „mütterlichen“ Sinne sind, also nicht sich und ihre beruflichen Interessen zurückstellen, um für ihre Kinder/ihre Familie da zu sein und 2. mit der Annahme, dass Schwule nicht monogam leben, sondern mit wechselnden Partnern und reduziert auf anonyme sexuelle Begegnungen.
Lesbischen Müttern hingegen wird weder das versorgende Element noch die monogame Beziehung abgesprochen. Hier wird der Bruch mit der Konvention eher in der Abwesenheit von Männlichkeit/vom Mann gewittert. Und genau da landen wir wieder beim Feminismus. Denn die Abwesenheit von Männern, das sich Beziehen auf Frauen/auf Lesben, ist ein grundlegend feministisches Bedürfnis. Die Forderung auf das Recht nach männerfreien Räumen widerspricht der patriarchalen Struktur, nach der sich Frauen auf Männer zu beziehen haben. Eine Familie, die sich bewusst dafür entschieden hat ohne Mann zu leben, ist eine Familie, die die noch immer herrschende patriarchale Vorstellung von Familie in Frage stellt. Und das ist gut so.
Ich finde es an der Zeit, dass wir lesbischen Mütter uns darauf besinnen, was wir über die „Ehe für Alle“ hinaus gesellschaftlich noch erreichen und verändern wollen. Die Eheöffnung bedeutet nicht das Ende der Wünsche unterm Regenbogen. Bündnisse mit schwulen Vätern sind sinnvoll und wichtig. Doch daneben sollten wir nicht aus dem Blick verlieren, dass feministische Perspektiven für uns lesbische Mütter Horizont erweiternd sein können. Von Lohnunterschieden zwischen Männern/Schwulen und Frauen/Lesben, bis hin zu alleinerziehenden Themen gibt es genug Regenbogenfamilien-Themen, die sich lohnen aus einer feministischen Perspektive betrachtet zu werden.
geschrieben von Familie Regenbogenbunt
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Liliane (Donnerstag, 02 November 2017 23:16)
Auf den Punkt gebracht. Genau so sehe ich das auch. Heiraten ist nicht alles. Make feminism great again!!!!